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Die Annahme,
dass einem Werk der Architektur eine eindeutige Interpretation zu Grunde
liegen müsse, verkennt seine Wirkungsmöglichkeit als Kunstwerk. Wenn sich
zwischen der Intention und der Rezeption Unterschiede bemerkbar machen, ist
dies selten das Resultat eines Informationsstaus, sondern vielmehr ein
Zeichen für die Vitalität und die Autonomie des Werks. Die Differenz
zwischen dem Künstler und dem Kritiker weist (in vielen Fällen) auf den
Gehalt des Werks hin. Damit es soweit kommt, muss sich der Kritiker freilich
einer gewissenhaften, wohlwollenden Prüfung des Werks unterziehen. Ansonsten
sieht er nur die Reflexion dessen, was er hinein projiziert.
Interpretation heisst Übersetzung. Der Kritiker ist ein Übersetzer dessen,
was im Werk in einer höchst abstrakten Sprache vorliegt. Wie die Sprache ist
Architektur ein Geflecht ambivalenter Strukturen von Syntax, Semantik, Form.
Dass es daher bei der Interpretation zu Übersetzungsfehlern kommen muss,
liegt auf der Hand. Doch anstelle diese auszumerzen, wird es sich als
fruchtbar erweisen, sie als kreative Missverständnisse wieder in den
Entwurfsprozess einzubringen. |
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